Fiktion eines Festivals

»Und es regnete. Es regnete in ihre Seele und in die des schlafenden Adam – die kleinen Bruchstücke des Paradieses. And from now on my country will be cinema« Jonas Mekas

Das 36. Kurzfilm Festival Hamburg hätte vom 2. bis 8. Juni 2020 stattgefunden. Es hat aus bekannten Gründen nicht stattgefunden. Und seit letztem Frühjahr ist damit die Frage nach dem Stattfinden, und wie das Stattfinden stattfinden kann, ganz vorne auf der Leinwand. Das Streiten um die Präsentation von Film ist ihm in die Wiege gelegt. Von den Jahrmärkten und Kneipen der Anfänge auf die Plattformen der Zukunft. Der Innovationsdruck ist gestiegen, und die Fragen nach dem Erreichen des Publikums stehen deutlicher noch als vorher im Vordergrund. Parallel dazu die Fragen nach dem Umgang mit Film und Filmemacher*in, nach unserem Verhältnis dazu, was ein Festival ausmacht, was Treffen, Aufeinandertreffen, analoger Austausch bedeutet . Es bleibt spannend – es hat gerade erst angefangen. Wir werden dieses Jahr noch einmal eintauchen in die analoge Welt des Kinos und des gemeinsamen Filmschauens. An drei aufeinanderfolgenden Tagen präsentieren und prämieren wir im Metropolis alle Wettbewerbe des Kurzfilm Festivals Hamburg: Internationaler und Deutscher Wettbewerb sowie den Flotten Dreier. Das 3. Hamburger Film-In!

In diesem Jahr haben über 6.000 Filmemacher*innen ihre Filme eingereicht. Ein neuer Rekord. Die hohe Zahl verweist eindeutig auf die Bedeutung der Festivalarbeit, den Glauben an die ungebrochene Wirkungskraft des bewegten Bildes und die Lust, am Moment festzuhalten, zu gestalten, sich mitzuteilen, mitmachen zu wollen.

Soziale, politische, ästhetische Fragen und Verhältnisse bestimmen die Auswahl des Internationalen und Deutschen Wettbewerbs. Die Umwelt ist nicht egal, die politische Situation ist nicht weit weg. Der Flotte Dreier hat in seinem diesjährigen Wettbewerb »Neuland« als Sujet ausgegeben. Die ausgewählten Filme sind eine schräge, wilde, beunruhigende Reise. Eine Reise wert. Die Filmemacher*innen beteiligen sich aktiv an der Welt und werfen Fragen zurück in den Kinosaal. Im Gespräch mit dem Publikum wird er zum Echoraum.

1967 wurde in Hamburg das 1. Film-In veranstaltet – damals eine Werbemaßnahme, für das neu eingerichtete Produktionsbüro des Kinobetreibers Werner Grassmann (Abaton Kino). Um das Film-In publik zu machen, fuhren drei Studierende nach Grenoble zu den Olympischen Winterspielen, um von dort das Olympische Feuer nach Hamburg zu tragen. Und so haben sie es auch gemacht – mit dem Auto runter nach Grenoble, die steile Treppe zum Feuer hoch, die Wachpolizei ignoriert, eine Zigarette am Feuer entzündet, der Polizei entkommen, dauergeraucht im Auto bis Hamburg und dort dann an einer Fackel, aus dem Auto gehalten, das Feuer in die Brüderstraße getragen, wo das Licht vom Projektorflimmern abgelöst wurde.

Es war das Gründungsmoment der »Filmmacher Cooperative«. Ein Beispiel für Vertrieb und Produktion eines Anderen Kinos hatten sich die Hamburger an der New Yorker »Film-Makers’ Cooperative« genommen. Ihr Gründungsmitglied war Jonas Mekas: »And from now on my country will be cinema.« 

Für andere war Kino nicht das Land der Möglichkeiten – ihnen ging es darum, die bestehenden Verhältnisse radikal zu ändern. Holger Meins schrieb aus Berlin an den Freund und Kollegen Hellmuth Costard aus Hamburg:

»daß wir euch nicht viel erfolg wünschen, ist auch klar, weil wir meinen, daß ihr den falschen, den kapitalistischen weg eingeschlagen habt daß ihr erfolg mit dem film-in haben werdet, ist auch klar, denn euer unternehmen ist produkt und reproduktion der bestehenden gesellschaft daß diese situation geändert werden muß, ist auch klar.« 

Holger Meins hatte in Hamburg an der HFBK Film studiert, als 1966 dort die erste Filmklasse eingerichtet wurde. 1967 wurde in Berlin die Deutsche Film und Fernsehakademie (dffb) gegründet, und Meins zog nach Berlin. Später ging er als Mitglied der ersten RAF-Generation in den Untergrund und starb 1974 in der Haft an den Folgen eines Hungerstreiks.

Die körperliche Erfahrung im Kino und mit dem Film selber hat die Wiener Musikerin und Filmemacherin Billy Roisz für das 36. Kurzfilm Festival Hamburg im Trailer umgesetzt: »quarantine carousel«. Die Paralyse, die Roisz empfunden hat, als der Lockdown weltweit  das  soziale  Leben  veränderte,  hat  sie  zum  Anlass  genommen,  mit  dem  Ohrwurm auf den Lippen, der Kreisbewegung und damit der Kamera als Zentrum eine Reise an den Anfang der Kreation zu unternehmen. Roisz Arbeiten sind immer von einer intensiven körperlichen Erfahrung. Die Sogwirkung entfaltet sich durch die enge Verknüpfung von analogem und digitalem Bild. Ihr Cluster in Ton und Bild erinnern an die abstrakten Musterverläufe der großen Weberinnen des Bauhaus, Gunta Stölzl, Anni Albers. Das Bauhaus für das Neue Sehen. Jonas Mekas hat sich nach seiner Flucht aus Europa 1950 in New York eine neue Heimat gesucht, und gefunden hat er sie im Kino. Aus dem Kino heraus hat er den Blick auf Welt verändert. Aktueller denn je seine Aufforderung zum intensiven Schauen.

Wir freuen uns darauf, mit Ihnen und Euch beim 3. Hamburger Film-In nicht aus dem Kino zu gehen, die roten Sitze als zweite Heimat zu markieren und für die Zukunft zusammenzukommen.

Maike Mia Höhne & Sven Schwarz