Das 3. Hamburger Film-In

5. bis 8. November 2020

I. FILM-IN, TEACH-IN, LOVE-IN, DANCE-IN, TALK-IN, GO-IN, SIT-IN. Das -IN als Format der APO (Außerparlamentarischen Opposition) in den 1960er Jahren entwickelt, um mit den Anderen über Gesellschaft in Kontakt zu treten, um sich stark zu machen für ein Mehr in Gesellschaft, um sich stark zu machen für eine andere Gesellschaft. Die Ins haben die Welt verändert.

In Hamburg hat 1968 das 1. Film-In dem unabhängigen Filmemachen eine Grundlage gegeben. Wir richten das 3. Hamburger Film-In mit dem Bewusstsein und Bezug ins Gestern aus, weil uns bewusst ist, dass die Zeit, als Film eine ungewöhnlich starke Innovationskraft hatte, bis heute inspirierend ist. Gerade der Bezug in die Bildende Kunst, die Performance und das Ausbrechen aus den Konventionen machten Film so interessant. Und trotzdem und gerade deswegen blieben auch hier die sogenannten »Grabenkämpfe« nicht aus. Unabhängiger Film, Undergroundfilm, Experimentalfilm, Film. Erzählfilm. Was ist jetzt das Richtige. Alles ist richtig und wichtig, und die Verläufe der Gräben sind andere.

II. Aus dem Film-In gründet sich die Hamburger Filmmacher Cooperative, die schon im Frühjahr 1968 die erste Hamburger Filmschau ausrichtet. Hellmuth Costard lädt seinen Freund Holger Meins ein, nach Hamburg zu kommen. Beide Freunde sind zu diesem Zeitpunkt Filmemacher. »Wir kommen nicht nach Hamburg, der Grund ist ein Doppelter«, schrieb Holger Meins an seinen Freund. Die Berliner kommen nicht, weil sie diskutieren, welche Rolle Film in einer zukünftigen Gesellschaft übernehmen kann. Meins schreibt in seinem kurzen Brief an Costard: »daß wir euch nicht viel erfolg wünschen, ist auch klar, weil wir meinen, daß ihr den falschen, den kapitalistischen weg eingeschlagen habt daß ihr erfolg haben werdet, ist auch klar, denn euer unternehmen ist produkt und reproduktion der bestehenden gesellschaft daß diese situation geändert werden muß, ist auch klar.«

Holger Meins entscheidet sich, in den bewaffneten Widerstand zu gehen und wird Mitglied der ersten Generation der RAF. Sein Film »Wie baue ich einen Molotow Cocktail« ist bis heute verschollen.

Die Hamburger richten ihr Film-In aus, gründen im Anschluss die Hamburger Filmmacher Cooperative, veranstalten die Filmschau – alles, um dem anderen Film, Kino einen Ort zu geben. »Das Problem der Cooperative wird werden, dass die Geschäftsführung schon bald nach Gründung von den Schultern der Filmmacher, Produzenten auf Angestellte geschoben wird.« So beschreibt es Birgit Hein und konstatiert: „Cooperativen sind entstanden, um den darin vereinigten Filmmachern den größtmöglichen Gewinn beim Vertrieb der Filme zu garantieren. Grundbedingung ist also, dass die Organisation so wenig Geld wie möglich verschlingt. … In dem Augenblick, wo ein normaler Verwaltungsapparat aufgebaut wird, verschlingt dieser die ganzen Gelder. Hinzu kommt aber noch, dass die Cooperative gerade für die Filmmacher sorgen soll, da die die wenigsten Chancen auf kommerziellen Erfolg haben . … Eine Coop, die lediglich von Angestellten verwaltet wird, vertreibt die Filme, die gefragt werden, d.h. die Filme, die am besten gehen und sowieso die größte Aussicht auf kommerziellen Erfolg haben.«

Das Orakel hat gesprochen: Die Hamburger scheitern ein paar Jahre später an der Struktur. Was ok ist, weil Scheitern an den Verhältnissen, auch und eben mit den Verhältnissen zu tun hat und der Gründung innerhalb derselben deswegen das Scheitern immanent ist. Das Bestehen-Bleiben einer Coop bedeutet eben nicht, dass die Verhältnisse deswegen überstiegen sind, sondern im Gegenteil, dass Kompromisse in andere Richtungen beschritten wurden. Für die Filmmacher Coop in New York attestierte B. Hein schon 1968, dass man dort konsequent offen für die Avantgarde sei, nicht aber für neue Strömungen. Auch das – zu wenig für den Wandel.

Das Nachdenken über die Möglichkeiten des Scheiterns bedeutet, sich gewiss zu sein und trotzdem weiterzumachen. Weil ohne Machen keine Chance auf Veränderung. 

Und deswegen haben wir uns entschieden mit dem Wissen um die Lust, die damals in Hamburg geherrscht hat, mit dem Wissen um den Freigeist Hellmuth Costard, der eben in seinem Denken über Film nie stehengeblieben ist, mit dem Wissen um all das Scheitern und die berühmte Ohrfeige von einem Mann zum anderen Mann, dass es wichtig ist, der Lust weiter Raum zu geben. Alle Lust will Ewigkeit.

III. Wir feiern den kurzen Film, wieder und wieder, weil der kurze Film in sich alle Erneuerung trägt, alle Lust  zu machen. Und die Filmemacher haben gemacht und wir haben gemeinsam 8 Wettbewerbsprogramme ausgewählt, die eindringlich Eindruck geben von dem, was uns umgibt. Und auch von dem, was weiter entfernt, unserem Blick entschwunden und uns trotzdem und sowieso weiter umgibt. Das Gute ist, dass die Grabenkämpfe der Vergangenheit lange beigelegt sind. Heute ist die Entscheidung, auf Film oder Video oder digital zu drehen eine, die dem Sujet zugrunde liegt, nicht der politischen Ausrichtung. Damit eröffnet sich ein Fächer an Möglichkeiten. Wir fächern und die Welt breitet sich aus.

Besonders auffällig ist, dass die Menschen, die sich entscheiden, ihre Heimat zu verlassen nicht aus den Augen verloren sind, sondern im Gegenteil mit ihren Geschichten, Fragen, mit ihrer Trauer und ihren Lieben im Mittelpunkt stehen.

Warum ist Bodybuilding nur eine andere Art der skulpturellen Arbeit? Das erklärt Arnold Schwarzenegger zauberhaft und zieht damit den Interviewer in seinen Bann. Die filmische Miniatur als Möglichkeit der Verdichtung und Poesie auf der einen Seite, die zeitgenössische Erzählung als wilder Roadmovie aus den Staaten – »And She Hisses«. »letter to a friend« der Künstlerin Emily Jacir, die im vergangenen Jahr in der Jury für den Deutschen Wettbewerb war, macht uns verstehen, was eine Reise nach Jerusalem bedeuten kann und wie kulturelle Verschiebungen sich einem konkret in den Weg stellen können. Der US-amerikanische Filmkritiker und Filmmacher Ricky D’Ambrose arrangiert die Gruppe von Freunden vor der Skyline von New York City, und die Aussicht auf die berühmten Türme bekommt einen neuen Layer. »Causes of Death«. Die südafrikanische Filmemacherin Jyoti Mystri denkt ohne Kompromisse in den Widersprüchen des Systems. Ihr Film ist nicht einfach zu digestieren, er nistet sich ein im Körper und macht ihn spürbar. Das ist die dringliche Aufgabe von Kunst – uns zu spüren. Die Filme der Wettbewerbe des Internationalen und Deutschen Wettbewerbs tun genau das – sie erfahren uns. Der Flotte Dreier hat dieses Neue gesucht. »Neuland« war das Thema und dahin wird die Reise gehen. Eine Nacht voller Filme, die die 3 Minuten Länge nicht überschreiten und uns lachen machen werden. Die Jury sind Sie. Wer gewinnt, wird noch in der Nacht ausgezählt. Unsere Jurys für den internationalen und nationalen Wettbewerb haben sich eingelassen, auf eine andere Form der Sichtung, auf ein anderes MiteinanderSprechen. Online und nicht im selben Raum und trotzdem nicht weniger intensiv. 

IV.  Das Internet ist dicht. Die Veranstaltung sold out, schreibt das Festival Du Réel auf die Ankündigung einzelner Screenings im Frühjahr 2020 auf ihrer Webpage. »Wie toll ist das«, denke ich, »sold out im Internet.« Ein von mir bis dato nie gedachtes Szenario. Der Kinosaal ist ausverkauft, das Theater dicht, die Bude voll People, singt Deichkind, das Internet ist immer unendlich groß – im Gegenteil: Je mehr Clicks, desto mehr Werbung, desto mehr Geld. Das Internet ist sold out, das Internet denkt weiter. Inklusiv und endlich ist das Elysium um uns. Der Lockdown, den das Virus evoziert hat, trägt in sich die Möglichkeit des Weiterdenkens von Solidarität. Solidarität ist nicht nur ein Traum. Mit dem Lockdown hat das Digitale Einzug ins Schlafzimmer bekommen, als letztem Ort des Analogen. Dieser Einzug bedeutet, dass eine Teilhabe in der Zukunft anders möglich sein wird. Wir müssen uns nicht mehr entscheiden zwischen digital und analog, wir dürfen uns entscheiden für Inklusion in einem weit größeren Ausmaß als je gedacht. Wir als Festivalmacher können in der Zukunft unsere Zuschauer*innen da abholen, wo es passt – in die analoge Projektion oder den digitalen Kinoraum. Damit können auch die kommen, die sonst nicht kommen können, und es können die zu Hause bleiben, die einfach mal im Bett die Kurzfilmnacht erleben wollen. Wir können »Sold Out« an die digitale Veranstaltung schreiben und damit die Frage nach Begrenzung und Zugabe weitertragen. Cheers auf uns alle und auf die Zukunft, die bunt und wild und anders und auf jeden Fall lang ist.

Maike Mia Höhne