Flamingos fliegen immer Richtung Osten

Oder was für Strategien stehen dem Spielfilm gut zu Gesicht?
Mitte der 90er wird die ehemalige DDR verkauft. Gesellschaftlicher Umbruch. »Gestaltungsfragen« ist das Wort des Jahrzehnts. MTV und VIVA haben die Avantgarden des 20. Jahrhunderts in die Wohnzimmer der Republik getragen.
An der Hochschule für bildende Künste in Hamburg unterrichtet Rüdiger Neumann Experimentalfilm. Das ist sein Arbeitsfeld – konkret ist er in einer großen Lebenskrise. Sein Unterricht beschränkt sich auf radikal subjektive Arbeitsbesprechungen. Das doppelte Vakuum zwischen Innen und Außen führt zu der wunderbaren Situation, dass die, die wollen, Filme machen können, ohne weiter dabei gestört zu werden. Die Studierenden seiner Klasse inszenieren kurze Spielfilme und orientieren sich dabei stark an dokumentarischen Arbeitsmethoden. Jeanne Faust, Ulrich Köhler, Henner Winckler, Jochen Dehn. Der erste queere kurze Film im Stil, der später »Berliner Schule« genannt werden wird, entsteht: ›Young & Gay‹ von Lars Reimers.

In Portugal kommt es zeitgleich zu einer sehr ähnlichen Aneignung des Alltags in kurzen Spielfilmen. Der Alltag in seiner wunderbaren Komplexität reicht aus, um erzählt zu werden. Neue Erzählstrategien, um sich selbst zu fühlen. Miguel Gomes und João Pedro Rodrigues starten ihre bis heute andauernde Karriere als Impulsgeber für das internationale zeitgenössische Kino. Keine großen Budgets und Kompromisse stehen diesen Denkern im Weg – umgekehrt: Die größte Freiheit im Machen erlaubt einen ungebrochenen Blick auf die Generation des Umbruchs. Das Ende der Geschichte ist der Anfang von etwas Neuem.

Zum ersten Mal werden in drei ausführlichen Programmen Filme von 1989 bis 2006 aus der Bundesrepublik und Portugal zusammen ein persönliches Bild der Zeit erzählen: Flamingos fliegen immer Richtung Osten.


Kuratiert von Diogo Costa Amarante, António Preto und Maike Mia Höhne.


Filmprogramm 1: Schreien hilft, bei manchen laufen

Donnerstag, 6. Juni | 19.30 Uhr | Lichtmeß
Freitag, 7. Juni | 17.30 Uhr | Metropolis
Filmprogramm 2: Monoknutschen ist für Anfänger
Donnerstag, 6. Juni | 21.45 Uhr | Lichtmeß
Sonntag, 9. Juni | 17.30 Uhr | B-Movie
Filmprogramm 3: Familie ist kein Wunschkonzert
Freitag, 7. Juni | 19.30 Uhr | Lichtmeß
Sonntag, 9. Juni | 19.30 Uhr | B-Movie

FORUM: Vergesst die Manifeste. Bekommen wir nur die Filme, die wir verdient haben?
Die Krise ist der Normalzustand des deutschen Kinofilms. Die Ursachenforschung ist sich indes traditionell uneins: Mal ist der deutsche Film zu kommerziell, dann wieder nicht international konkurrenzfähig genug, er gilt entweder als zu verkopft oder als zu banal, und seine öffentliche Förderung fällt je nach Sichtweise viel zu gering aus, oder aber sie lähmt jedwede Kreativität. Mit der Krise einher geht eine Konjunktur der Initiativen und Bewegungen, die diesen Zustand beklagen und Änderung fordern. Was die vielen Manifeste, Positionspapiere und Erklärungen der vergangenen Jahre trotz ihrer heterogenen Argumentationslinien häufig eint, ist die Form der strukturellen Kritik. Was bei dieser durchaus legitimen Betrachtung der Verhältnisse jedoch außen vor bleibt, ist eine Auseinandersetzung mit den dominanten Narrativen des Filmschaffens in Deutschland und den hiesigen Erzähltraditionen, beziehungsweise des Mangels an ebensolchen.

Ausgehend von dem dreiteiligen Filmprogramm »Flamingos fliegen« immer Richtung Osten‹ diskutiert David Kleingers vom Deutschen Filminstitut mit der Journalistin Anke Leweke, auch Mitglied im Auswahlkomitee etwa des Forums der Berlinale, dem Filmemacher und Vorsitzenden im Vorstand der Deutschen Filmakademie, RP Kahl, und Helge Albers, seit April 2019 Geschäftsführer der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, über Fragestellungen, die in der bisherigen Debatte nicht oder nur marginal auftauchen: Greift die vorherrschende Fokussierung auf die ökonomischen Bedingungen der Produktion und Distribution zu kurz, um das Dilemma des deutschen Films zu verstehen? Warum interessiert sich unser Kino kaum für Alltagsrealität, wenn wir doch gerade diese Qualität an den Kinematografien anderer Länder so schätzen? Bietet der zeitgenössische Kurzfilm tatsächlich narrative Alternativen, oder ist er im Grunde ein Symptom des gleichen Problems? Und bekommen wir letztendlich nur die Filme, die wir verdient haben?

FORUM: Vergesst die Manifeste. Bekommen wir nur die Filme, die wir verdient haben?
Freitag, 7. Juni | 15 Uhr | Festivalzentrum Post