LAND: Österreich - Überblick

Österreich – ein kleines Land mit großer Filmkunst. Inzwischen auf Festivals mit Palmen, Bären und Löwen dekoriert und Oscar-prämiert, begann alles in den 50er-Jahren mit der kurzen Form, mit der Avantgarde, noch lange vor dem Autorenfilm. In den letzten 60 Jahren entstand eine der innovativsten, produktivsten, radikalsten und gefeiertsten Kunst&Kurz-Filmszene weltweit – ob strukturelle Filmpioniere oder feministische Rebellinnen, Found-Footage-Meister oder Austrian-Abstracts-Künstlerinnen minimalistisch in Sight & Sound, die nun mit dem Konkreten experimentieren. In Hamburg werden sie seit Jahren in kinematografischer Vielfalt präsentiert.

Fünf Filmprogramme werden gebündelt Entwicklungslinien zeichnen und ein buntes Mosaik aus Historischem und Aktuellem, Genres und Formaten ausbreiten. So leuchten Kurzspielfilme des „neuen Realismus“ der Wiener Filmakademie neben politisch-kritischen Doku-Essays und Beispielen der Animationsfilmtradition. Aktuelle Architektur-Raum-Forschungen und Heimat-Dekonstruktionen, Performance-Variationen und ironische Selbstreflexionen, treffen auf impressionistische und analytische Found-Footage-Bilderwelten und Experimente zum Manipulationspotenzial der Laufbilder.

Gäste: Siegfried A. Fruhauf, Gabriele Mathes, Daniel Moshel, Lisl Ponger, Ulrike Putzer, Billy Roisz

Kuratorin: Wilbirg Brainin-Donnenberg (Freie Kuratorin und Autorin, Leiterin des Drehbuchforum Wien)

Österreich. Form verlässt Norm. Heimat geht fremd.

Nationale Filmschauen haben oft etwas Problematisches oder Langweiliges. Problematisch – weil, welche Gültigkeit kann das Kriterium Nationalität im großen Universum der Filmkunst haben? Langweilig – weil es eine künstliche Einschränkung jeder Auswahl bedeutet. In diesem Dilemma werde ich zwei Dinge versuchen, um eine österreichische Filmauswahl weniger problematisch und hoffentlich überhaupt nicht langweilig zu machen. Erstens werden die fünf Programme immer wieder historische Entwicklungslinien zeichnen, die auch die Gegenwart des Filmschaffens in Österreich beeinflussen. Zweitens möchte ich Nationalität als Heimat begreifbar machen und in diesem Sinne auch vermehrt Arbeiten zeigen, in denen sich Filmschaffende mit ihrer Heimat  auseinandersetzen, sowohl mit der nicht nur im Heimatfilm verdrängten Vergangenheit als auch mit der Gegenwart.

Womit könnte es zusammenhängen, dass es in Österreich seit 60 Jahren eine der innovativsten, produktivsten, radikalsten und gefeiertsten Kunst- und Kurzfilmszenen gibt? Noch bevor der österreichische Autorenfilm mit Michael Haneke, Barbara Albert, Jessica Hausner, Ulrich Seidl, Tizza Covi und Rainer Frimmel palmen-, bären- und löwendekoriert und Oscar-prämiert wurde?

Es begann in den 50er-Jahren, als sich mit einer Abkehr vom Habsburger-, Heurigen- und Heimatfilm – im europäischen Vergleich recht spät – eine eigene künstlerische Kinematografie in Österreich entwickelte. In dieser Zeit entstanden die ersten Filme Herbert Veselys (dem 2012 eine Retrospektive in Hamburg gewidmet war) und die Arbeiten von Peter Kubelka und Ferry Radax. So ist der zeitliche Beginn der fünf Programme auch mit 1957 angesetzt: mit Peter Kubelkas ›Adebar‹ und ›Schwechater‹, mit welchen er den ›metrischen Film‹ begründete und mit denen er internationale Entwicklungen um Jahre vorwegnahm. Und dann war da auch noch dieser unglaubliche Kurt Kren, ein Pionier des strukturellen Films und auch der Montagetechnik, die noch Jahrzehnte später die Entwicklung der Musikvideos beeinflussen sollte. Sie alle werden oft der sogenannten ersten Generation zugeordnet, bei der es um den Film als eigenständige Kunstform ging.

Eine weiterer Einflussfaktor und eine ganz augenscheinliche Abkehr von jeder bisherigen Norm war natürlich der Wiener Aktionismus, der ausgehend von der bildenden Kunst im Film seine Fortsetzung fand. Nicht nur durch die sehr eigenwillige Art der Dokumentation der Aktionen etwa durch Kurt Kren und Ernst Schmidt Jr., sondern auch durch die Entwicklung des ›Expanded Cinema‹ sollte die Kunst (wieder) ins Leben integriert werden. Pionierarbeit leisteten als Angehörige dieser zweiten Generation sicherlich Valie Export, Peter Weibel und Hans Scheugl, die jeweils mit programmatischen Werken im Programm ›Wien - Das Ende der Bequemlichkeit‹ vertreten sind. Die vehemente Kritik an der Gesellschaft und am herkömmlichen Kunstbegriff war im damaligen Österreich aber nicht nur abstrakter Diskurs, zahlreiche Künstlerinnen und Künstler wurden anhand ganz konkreter Paragrafen verurteilt – einige wählten sogar das Exil, um Gefängnisstrafen zu entgehen.

In dieser Zeit begründete sich mit Valie Export eine lange Tradition der Performance-Filme. Mit radikalem Körpereinsatz etablierte sie sich als wichtige feministische Rebellin und ist mit ihrem ›Tapp und Tastkino‹ im Wien-Programm zu sehen. Aus heutiger Sicht bildete sie gleichsam einen Kontrapunkt zu der damals ›reinen‹ Männerwelt der Aktionisten. Ende der 60er-Jahre beeinflussten auch die damals noch sehr (von Quotendruck) freien künstlerischen Möglichkeiten im öffentlichen Fernsehen sowohl Medienkritik als auch eine ganze Reihe von Medienkünstlerinnen und -künstlern.

Peter Weibel schrieb 1970 das kurze Pamphlet ›warum der wiener film so gut ist — zum geflissentlichen geleit‹, das die Kulturpolitik in Stadt und Land überzeugen wollte, ihre Fördermittel nicht nur den Wiener Sängerknaben sondern endlich auch den Filmschaffenden wie Kurt Kren, Hans Scheugl und Valie Export zu geben. Im selben Jahr entstand in Österreich die Filmförderung für den künstlerischen Film, die sehr wesentlich zum bestehenden Erfolg der österreichischen Kunst- und Kurzfilmerfolge beiträgt. Damals hieß sie noch ›kleine Filmförderung‹, mittlerweile ›Innovativer Film‹. Obwohl permanent unterdotiert, ist diese großartige Fördermaßnahme nach wie vor Gegenstand
des Neids vieler internationaler Filmschaffender.

In den 80er-Jahren entstand die sogenannte dritte Generation – mit Martin Arnold, Dietmar Brehm, Gustav Deutsch, Mara Mattuschka, Lisl Ponger und Peter Tscherkassky u.a. Inhaltlich wohl kaum auf wenige Sätze reduzierbar – vielleicht mit der Ausnahme, dass viel über das Medium Film selbst reflektiert wurde und wird – wurde nicht das Kino als Fenster zur Welt untersucht, sondern das Kino an sich und die filmische Apparatur. Die Verwendung von Found Footage ist von den meisten dieser Künstlerinnen und Künstler zur weltweit vielbeachteten und mit renommierten Preisen ausgezeichneten Filmkunst entwickelt worden. Festivalnominierungen einzelner Arbeiten gehen in die Hunderte, der Siegeszug dieser Filme hat das gegenwärtige Image der österreichischen künstlerischen Kurzfilme nachhaltig etabliert. Wesentlich
zum Erfolg der Filme trug die Arbeit von Sixpack Film bei, einer Verleih- und Vertriebsorganisation, die seit Anfang der 90er-Jahre Avantgarde, Innovatives, Kurzes in die Welt vermittelt. Im Programm ›Das Un/Bewusste Sehen – Found Footage‹ zeigt sich die begeisternde Vielfalt der Found-Footage-Künstler, die aus unterschiedlichem Ausgangsmaterial wie wissenschaftlichen Filmen, klassischem Hollywoodkino, Pornografischem und Home Movies durch Dekonstruktion Unbewusstes hervorholen, durch Montage Neues schaffen und weitere Generationen inspirieren.

Aber die fünf Programme versuchen nicht nur, die Entwicklung der Avantgarde zu skizzieren, sondern anhand von Beispielen auch manche der genre- und formatübergreifenden Formen, wie sie etwa in Österreich durch die Malerin und Trickfilmerin Maria Lassnig in einer ganz eigenen Art des Animationsfilms jenseits häufiger Verniedlichungstendenzen dieser Gattung entstand. Verschiedene Formen des Performativen sind in dem Programm ›Gesten. Gebärden. Gesänge.‹ von frühem Feministischen von Moucle Blackout zur Queer-Burlesque von Katrina Daschner.

Wesentlich zum Erfolg des österreichischen Films trug in den 80er- und 90er-Jahren auch der aufkommende Neue Realismus im österreichischen Spielfilm bei, die Hinwendung zum gegenwärtigen Leben als Mischung aus Erfahrenem, Erzähltem und Erfundenem. Die eigene Biografie dient dabei oft als Inspirationsquelle und daraus resultiert dann Milieu- und auch Religionskritik, beginnend mit richtungsweisenden Kurzfilmen der ›Nouvelle Vague Viennoise‹. Barbara Albert und Kathrin Resetarits sind erfolgreiche Beispiele im Programm. Dieser Realismus des Erzählens, fast mit dokumentarischem Gestus und gleichzeitig innovativer Filmsprache, setzt sich nach wie vor auf der Filmakademie in Wien fort, wie ›Elefantenhaut‹ im Programm ›Schöne Grüße aus Wiener Neustadt‹ zeigt.

Die Filme in ›Innen. Welten – Außen. Räume‹ stehen in ihrer technischen Vielfalt und Erzählweise exemplarisch für aktuelle filmische Architekturerforschungen, Heimat-/Naturerkundungen und Experimente zwischen Konkretem und Abstraktem.

Die Programme verstehen sich bewusst als Ergänzung zu den österreichischen Filmen, die seit Jahren in Hamburg prominent und in ihrer kinematografischen Vielfalt gezeigt werden. Die ›Austrian Abstracts‹, die seit den 90er-Jahren international sowohl auf Film- und Medienkunstfestivals als auch auf Musikfestivals gefeiert werden, sind nur mit wenigen Werken präsent, vor allem im Sinne einer vermehrten Hinwendung zum Konkreten. ›Copy Shop‹ von Virgil Widrich, der 2001 als erster österreichischer Film seit Jahren wieder eine Oscar-Nominierung schaffte, auf 230 Festivals weltweit lief und auch im Verleih der KurzFilmAgentur Hamburg ist, fehlt ebenso wie die in Hamburg regelmäßig gezeigten Werke von Harald Hund oder Barbara Doser. Peter Tscherkassky, dessen neueste Werke hier schon erfolgreich liefen, ist mit zwei älteren Arbeiten vertreten.

Aus dieser Fülle können fünf Programme mit 45 Filmen von 41 österreichischen Filmschaffenden aus den Jahren 1957 bis 2014 – ein buntes Mosaik aus Avantgarde, Doku-Essay, Spielfilm, Animation, Performance, Musikvideo, Analogem und Digitalem, Preisgekröntem und zum Teil selten Gesehenem – zwar trotz allem immer nur Einblicke geben, hoffentlich aber dennoch Entwicklungen nachvollziehbar und vor allem auch neugierig auf Weiteres machen.

Gute Projektionen!
Wilbirg Brainin-Donnenberg

Land 1. Das Un/bewusste sehen - Found Footage

Hier verbindet sich die Found-Footage-Vielfalt einiger der wichtigsten Künstlerinnen und Künstler auf dem Gebiet des gefundenen oder gezielt gesuchten Films.

Programmatisch zu Beginn: ›Film ist. 1 – Bewegung und Zeit‹ des Bildermonteurs und Filmforschers Gustav Deutsch, der in seinem Tableaufilm ›Film ist.‹ wie kein anderer aus den »Archiven des Unbewussten« (Tom
Gunning) der wissenschaftlichen Filme, der ›orphan films‹, eine Schule des Sehens, des Kinos entwickelt und gleichzeitig durch Verknüpfungen traumgleiche Assoziationen evoziert. Diesem bewussten Sehen – in diesem Fall des frühen Kinos – widmet sich auch Norbert Pfaffenbichler auf spektakuläre Weise, indem er alle Einstellungen eines Charlie-Chaplin-Slapstick-Films als polyfokale Projektion gleichzeitig erleben lässt. Eine Illusionszerstörung der Linearität auf anderer Ebene gelingt Avantgardemeister Martin Arnold, in dem er die latenten Bedeutungs- und Beziehungskonstruktionen der Hollywoodfilme durch die stroboskopische Re-Montage von Mickey Rooney und Judy Garland freilegt. Peter Tscherkassky, gefeierter Filmemacher und auch Mastermind der Theorie zum Avantgardefilm, beginnt motivisch bei Lumières Zug und verdichtet Kino auf Action & Emotion durch die Montage eines Habsburg-Melodrams mit Cinemascope-Technik. Pionierin Linda Christanell arbeitet ebenso mit Bildüberlagerung und Mehrfachbelichtung in ›Picture Again‹. Der dunkle ›pumping screen‹-Künstler Dietmar Brehm remixt seine Filme gleich selbst und verwebt private Selbstaufnahmen mit Pornofilmen. Siegfried Fruhauf gelingt mit ›Mirror Mechanics‹ ein raffiniertes Spiegeleffektspiel mit der Illusion des Kinos. Zum Abschluss zwei Meisterwerke des Home Movies: In ihrem Doku-Essay ›Passagen‹ betreibt Lisl Ponger eine radikale Entkopplung der Tonspur von der Bildebene und lässt zu privaten Reisefilmen Fluchtgeschichten erzählen. Fröhliches Trinken und Tortenessen zu Weihnachten komponiert Peter Tscherkassky zu einem deliranten ›Happy End‹.

Land 2. Wien - Das Ende der Bequemlichkeit

Zu Beginn sammeln sich gemeinsame historische und filmische Meilensteine aus der Geschichte Wiens und des Avantgardefilms. Schrittweise chronologisch bewegt sich das Programm dann vom Aktionismus, von Körperaktionen zur Architektur und deren Abstraktion.

Kurt Kren, Ikone des österreichischen Avantgardekinos, verkehrt in seiner souveränen Einzelbildtechnik die Perspektive auf die Betrachter statt auf das Objekt. Die Stimme einer Botschaft, Peter Lorre, ›der Verlorene‹, kehrt nach langen Jahren zurück – in seine Heimat. »Österreich ist frei!« Gustav Deutsch kommentiert den EU-Beitritt Österreichs durch ein Wochenschaudokument: das Fallenlassen des Staatsvertrags im Jahre 1955. Der Doyen des österreichischen Avantgardefilms, Peter Kubelka, schuf mit ›Adebar‹ den ersten metrischen oder auch seriellen Film der Filmgeschichte und trug nicht zuletzt auch durch die Gründung des Österreichischen Filmmuseums zur endgültigen Etablierung des Films als eigene Kunstform im Nachkriegsösterreich bei.

Hans Scheugl zeigt in seinem hochmusikalischen Montagefilm ›Hernals‹ nicht nur die triste Vorstadt Wiens, sondern auch sehr amüsante Szenen zwischen Valie Export und Peter Weibel, den zwei Vertretern des Expanded Cinema und der Performance- und Medienkunst der 60er- und 70er-Jahre.

Das programmatische Ansinnen der 60er-Jahre, die Kunst ins Leben zu integrieren, wird mit drei wesentlichen Arbeiten beispielhaft gezeigt. Alle schließen auch Wien als Stadt mit ein. Die weltweit berühmt gewordene feministische Aktion und Expanded-Cinema-Performance ›Tapp und Tastkino‹ von Valie Export mit ihrem Kinokasten vor der Brust. Ernst Schmidt Jr.s eigenwillige Dokumentation der legendären Aktion auf der Wiener Universität (vom Boulevard historisch unauslöschlich als die ›Uni-Ferkelei‹ bezeichnet) mit Künstlern wie Günter Brus, Otto Muehl, Oswald Wiener und auch Peter Weibel. Und als Beleg der damals noch hochinnovativen Rolle eines quotenfreien Fernsehens trägt der Medienkünstler Richard Kriesche den Kunstdiskurs auf den Wiener Stephansplatz. Peter Weibel verlegt seine medientheoretischen Überlegungen in ›Abbildung ist ein Verbrechen‹ in das kaiserliche Ambiente des Schönbrunner Schlossparks.

Als eine Form der Appropriation der Architektur Wiens erscheint ›Body Trail‹ von Michael Palm, eine schnitttechnisch raffinierte Dokumentation menschlicher Skulpturen im urbanen Raum. In ›GHL‹ fügt Lotte Schreiber, die Meisterin der Studien über Architektur und Raum, dem präzisen Blick aufs Konkrete (das berühmte Gänselhäufel, ein städtisches Freibad als Nachkriegsarchitekturjuwel) ein narratives Element hinzu. Zum Abschluss das neueste Werk der Austrian Abstracts Film- und Soundkünstlerin Billy Roisz: ›Darkroom‹, eine Hommage an 50 Jahre Österreichisches Filmmuseum, Institution, Forschungsstelle und Autorität in Sachen Selbstfindung und Selbstbewusstsein des österreichischen Films.

Land 3. Gesten. Gebärden. Gesänge. Performance-Variantionen

Fast als Stummfilm beginnt dieses Programm mit Kathrin Resetarits poetischem Doku-Essay ›Aegypten‹ über gehörlose Menschen, eine Schule des Sehens, des genauen Beobachtens und schließlich des faszinierten Enträtselns. Repräsentationen dechiffrierend geht es weiter in der Tanzperformance von Silke Grabinger, filmisch choreografiert von Arash T. Riahi, spielend mit Erwartungshaltungen im Assoziationsfeld zwischen Religion und Politik (›That Has Been Bothering Me the Whole Time‹). Die lebensnahen Porträts von Friedl vom Gröller sind zwar nicht primär der Performancekunst zuzuordnen, lassen aber filmisch radikal und schön Spielarten des Privaten theatralisch erleben (›Das neue Kostüm‹, ›Ma peau précieuse‹, ›Kirschenzeit‹).

Als Kantate dann ein ironisches Selbstporträt von Maria Lassnig, der Grande Dame der österreichischen Malerei und Begründerin einer eigenständigen Art des Animationsfilms, der eine Position jenseits der Verniedlichungen Walt Disneys definiert (›Maria Lassnig Kantate‹). Eine ihrer bekanntesten ›Schülerinnen‹, Mara Mattuschka, ist mit den frühen Arbeiten ›S.O.S. Extraterrestria‹ und ›Es hat mich sehr gefreut‹ vertreten, in denen ihr Alter Ego Mimi Minus ihr schalkhaftes Unwesen treibt. Moucle Blackout, Pionierin des Avantgardefilms, montiert in ihrer ›Geburt der Venus‹, dem ältesten Film des Programms (1970 in Hamburg entstanden), zu beschwingten Beatles-Songs Assoziationsketten von Bildern einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität.

40 Jahre später spielt Kurdwin Ayubs Plastilin-Musikvideo ›Die Intrige und die Archenmuscheln‹ mit den Geschlechterklischees bei Rock’n’Roll-Bühnenauftritten. Ausgehend von der Idee und Ästhetik der YouTube-Videos inszeniert Daniel Moshel den Tenor August Schram von einem Home Movie zu einem Hochglanz-Musikclip im SadomasoDarkroom (›Me Tube‹). Die Hamburgerin Katrina Daschner zelebriert anschließend in ihrer Burlesque-Performance ›Hiding in the Lights‹ glamourös queere Femmeness im
ästhetisch aufgeladenen Bühnenraum. Applaus!

Land 4. Innen. Welten - Außen. Räume

Das augenscheinlich Verbindende dieses visuell und technisch beeindruckenden Programms mit aktuellen Arbeiten international gefeierter Filmkünstlerinnen und -künstler ist Natur, Mensch, Architektur.

Zunächst Natur als Inszenierung von Heimatidylle, Gemeinschaftsritual. Wir folgen im Cinema-verité-Stil ›Pilgern‹ hinauf auf den Berg, zu einer Art Bergpredigt des Sängers Hansi Hinterseer – ›Hände zum Himmel‹. In einer filmischen Vermessung der Dachsteinregion verdichtet Elke Groen in ›NightStill‹ die Bergwelt mit einer alten Bolex zu einem Naturspektakel. Ebenfalls mit analoger Bildbearbeitung begibt sich Paul Wenninger als Figur in der Realanimation ›Trespass‹ auf eine Weltreise in den eigenen vier Wänden. Eine phantastische Location im Kaukasus ist der Hinter- und Vordergrund für die ›Ennui-Komödie‹ ›Hypercrisis‹, in der Josef Dabernig die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft ironisch weiterspielt. Eine andere, denk(mal)würdige Location ist die Wiener Wotrubakirche, die Thomas Draschan als begehbare Skulptur im Einzelbildverfahren filmisch erfahrbar macht (›Wotruba‹). Wir wechseln ins Digitale – zu Meistern der ›Austrian Abstracts‹. In zwei Natur-Raum-Wahrnehmungsexperimenten ermöglicht Siegfried A. Fruhauf ausgehend von 35mm-Filmmaterial ein digitales Kino-Raum-Erlebnis zwischen Innenwelt und Außen (›Exterior Extended‹), während Michaela Grill die Grenzen zwischen Natur, Landschaft und Abstraktion in ihrer Sound&Vision-Kombination ›Fôret d’Expérimentation‹ verhandelt.

Land 5. Schöne Grüße aus Wiener Neustadt

Geschichten aus der österreichischen Provinz, Milieustudien zwischen Fiktionalem und Dokumentarischem, tragisch- komisch, selbstironisch, ein filmisches Vergnügen.

›Die Frucht deines Leibes‹ von Barbara Albert, ein wesentlicher Auftakt des neuen Realismus des österreichischen Films: Aufwachsen in den 70er Jahren, geprägt von engstirnigem Katholizismus und bigotter Sexualmoral, endlich aus der Sicht eines Mädchens erzählt, filmisch wunderbar ihre Gedanken- und Phantasiewelt. Gabriele Mathes, ebenfalls ehemalige Studentin der Wiener Filmakademie, gelingt in ihrem Doku-Essay aus Super-8Filmen der Bogen vom eigenen Familienschicksal zu einer Mikro-Wirtschaftsgeschichte der 70er-Jahre, Aufschwung und Fall, kontrastiert mit glücklichen Home Movies (›Eine Million Kredit ist ganz normal, sagt mein Großvater‹).

Zeitsprung. Aufbruchsphantasien einer 50-jährigen Fabrikarbeiterin aus den Aufopferungen für die grantige Mutter in ›Elefantenhaut‹ von Ulrike Putzer und Severin Fiala, Sozialrealismus mit Laiendarstellerin, Humor und Würde. Allen gemeinsam ist die Rebellion ihrer Figuren und der Filmsprache. Zwischendurch Sasha Pirkers amüsanter Kommentar in Buster Keatonschem Humor zu weiblichen Lebensrealitäten (›Livepan‹) und Johann Lurfs Konzeptfilm ›Kr.Wiener Neustadt‹, der die Monotonie der Provinz durch ihre Bausünden und ewig gleichen Vorstadtkulissen inszeniert.