MOTIV: Bewegte Körper, Bewegte Bilder: Sport und mehr

Seit seinen Anfängen ist das Kino fasziniert von menschlichen Körpern in Bewegung. Und wo sonst findet man körperliche Bewegung so hervorgehoben präsentiert wie im Sport. Nur im Sport werden außergewöhnliche Bewegungen durch ein klares Regelwerk begrenzt und so für die Kamera attraktiv. Viele Filmkunstpioniere versuchten daher zu zeigen, was niemals zuvor gezeigt werden konnte: bewegte Bilder von bewegten Körpern – beim Sport. Während die frühen Filmkameras noch nicht unbedingt in der Lage waren, die Geschwindigkeit und die räumliche Weite von Outdoor- und Team-Sportarten einzufangen, eroberten etwa Aufzeichnungen von Boxkämpfen schnell ein großes Publikum. Die Bewegungen menschlicher Körper, vergrößert, zergliedert und hervorgehoben auf der Leinwand, eingefasst in einfach zu folgenden Geschichten vom Gewinnen und Verlieren, wurden zur aufsehenerregenden Form der Unterhaltung. Unterstützt durch die Popularität früher Sportstars konnte so ein erstes Publikum für das neue Medium des Films gewonnen werden.

Die Beziehung zwischen Sport und Film blieb jedoch nicht lange so harmonisch. Nach einer Frühphase des Kinos, die hauptsächlich auf die Zurschaustellung von Attraktionen zielte, wurde die Filmwelt bekanntlich bald in geordnetere Bahnen geführt: Die Aufteilung in Spielfilme, Dokumentationen und Wochenschauen, die das Kino seit den 20er-Jahren beherrschte, machte eine neue Form der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Sport nötig. Ein simples Abbild des Geschehens war bald nicht mehr genug für ein anspruchsvoller werdendes Publikum. Um einen Platz im modernen Kino finden zu können, musste mehr aus den Sportveranstaltungen herausgeholt werden.

Eine neue Möglichkeit, sich mit Sport auseinanderzusetzen, bot das Genre des Dokumentarfilms. Allerdings nicht ohne Haken: Nähert man sich dem Sport im Modus des Dokumentarfilms, dann kommt man im Grunde immer zu spät. Auf die Liebhaber des Sports übt gerade das ungewisse Ende eines Wettkampfs, die Anspannung im Angesicht des Unvorhersehbaren, die größte Anziehungskraft aus. Der Genuss liegt gerade darin, dass man nicht weiß, wie es ausgeht. Unter der Woche mögen Fragen der Vorhersehbarkeit überwiegen: Die Diskussion taktischer Ausrichtungen und körperlicher Fitness, von Statistiken und Verletzungen auf den Sportseiten der Zeitungen (und heute natürlich im Internet und im Fernsehen) zielt von jeher darauf ab, den Ausgang des Wettkampfs vorhersehbar zu machen. Doch wenn der Wettkampf beginnt, ist jede Vorhersage nichtig: ›Entscheidend ist auf’m Platz‹, wie man so schön sagt. Dokumentarfilme mögen hinter die Kulissen großer Sportveranstaltungen blicken, sie können politische und wirtschaftliche Verstrickungen aufdecken, oder zeigen, welche persönlichen Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg überwunden werden müssen. Aber die Essenz des Sports vermögen sie nur schwerlich einzufangen: das Gefühl der absoluten Präsenz, der Präsenz von Körpern und Spielfiguren, und der Unvorhersehbarkeit, die mit dieser absoluten Gegenwärtigkeit einhergeht. Spielfilme, die sich dem Thema Sport widmen, treffen auf ganz ähnliche Probleme. Zwar sind sie nicht an tatsächliche Events gebunden und können daher ihre eigenen Wettkämpfe erfinden, mit denen sie den Zuschauer emotional ansprechen. Doch auch hier ist das Ende niemals so offen wie im Sport selbst. Stattdessen ist der Ausgang eines sportlichen Wettkampfes immer dem Spannungsbogen eines Films unterworfen. Wenn das Spiel, das Rennen oder der Kampf beginnt, weiß der Zuschauer bereits, was Sache ist – und dass Rocky diesen letzten Kampf nicht verlieren wird. Spätestens wenn der Kampf vorüber ist, muss der erzählerische Sinn offenbar werden: Der Protagonist wird für seine Leiden belohnt, oder es wird ihm eine Lektion erteilt. Im Spiel des Sports ergibt längst nicht alles einen Sinn; im Spielfilm hingegen werden die sportlichen Wettkämpfe oft lediglich zum Vehikel für die Entwicklung eines Charakters oder das Vorantreiben des Plots.

Aber auch wenn das Kino seine offensichtlichen Schwierigkeiten mit der Darstellung von Sport hat, und die weltweit größte Form des Entertainments oft ganz außen vor lässt, so ist der Sport den audiovisuellen Medien keineswegs verlorengegangen. Das Fernsehen hat das Kino in dieser Hinsicht beerbt. Dabei profitieren Sport und TV von dieser Liaison bekanntermaßen gleichsam: Die populären Sportarten verdienen immense Summen durch den Verkauf von Senderechten, und das Fernsehen kann seine Werbeslots für horrende Preise verhökern. Sportfilme, mögen sie nun dokumentarisch oder fiktional sein, können von solchen Erfolgen nur träumen; finanziell erfolgreiche Sportfilme sind im Kino so selten wie solche, die höheren ästhetischen Ansprüchen genügen. Nur die wenigsten Kinofilme erweitern gar unser Verständnis des Phänomens Sport, und das Fernsehen ist daran oft gar nicht erst interessiert. Das vorliegende Sonderprogramm über bewegte Körper und bewegte Bilder will herausfinden, ob die filmische Darstellung von Sport im Kurzfilm diesem Dilemma entkommen und neue Möglichkeiten der Betrachtung von Körpern, Emotionen und Passionen im Sport eröffnen kann.

Gäste: Åse Fougner, Sybil H. Mair et al.

Text und Filmauswahl: Christian Huck (Universität Kiel)

Motiv 1: Team

Meist wird Sport nicht allein betrieben, sondern im Team. Um erfolgreich sein zu können, muss das Team mehr sein als nur die Summe seiner Teile; die Mitglieder des Teams müssen sich in ihren Stärken und Schwächen perfekt ergänzen, und vor allem müssen sie ihre persönlichen Interessen zugunsten einer gemeinsamen Sache in den Hintergrund stellen. ›Comme un seul homme‹ zeigt eine Gruppe von Rugbyspielern, die sich auf ein Spiel vorbereitet; durch das Überstreifen der Trikots, durch Einölen und Tapen, durch das gegenseitige Anfeuern scheinen die Einzelnen ihr alltägliches Selbst hinter sich zu lassen und zu einem aufgeheizten Kollektivkörper zu verschmelzen. ›Laker McChampions: a Lakers Scrapbook‹ zeigt das Team als ästhetische Form, die entsteht, wenn talentierte Individuen perfekt interagieren. ›Du poil de la bête‹ erzählt die Geschichte einer Frauenfußballmannschaft, die im Angesicht der Niederlage auseinanderzubrechen droht. ›The Saturday Men‹ erlaubt einen seltenen Einblick in die verbindenden, aber auch die zerstörerischen Kräfte, unter denen eine Fußballmannschaft existiert. Der Film zeigt einerseits, wie die Professionalisierung des Sports das Leistungsvermögen erhöht, aber auch, wie andererseits der Zusammenhalt innerhalb des Teams und die Verbindung zu den Fans so auf eine harte Probe gestellt werden. Dass es innerhalb eines Teams gelingen kann, die Handicaps des Einzelnen zu überwinden, behandelt ›One Goal‹ auf eindrückliche Weise; der Film zeigt beinamputierte Opfer des Bürgerkriegs in Sierra Leone, die durch die Gründung eines eigenen Fußballteams zu neuer Stärke finden.

Motiv 2: Kampf

Im Sport geht es natürlich nicht nur um die kontrollierte Bewegung von Körpern, sondern nicht zuletzt auch ums Gewinnen. Als eine Form des Spiels bietet der Sport präzise Regeln, die über den Ausgang eines körperlichen Wettkampfes entscheiden. Dadurch, dass der Sport solch einen Rahmen vorgibt, ermöglicht er es den Sport treibenden, genau zu wissen, was man tun muss, um zu gewinnen, und vor allem, wen es dafür zu besiegen gilt. Im sonstigen Leben weiß man das bekanntlich selten so genau. Wie die hier versammelten Filme zeigen, ist das, was es zu überwinden gilt, häufig weniger ein tatsächlicher Gegner als die Beschränkung der eigenen Körperlichkeit, des eigenen Selbst. In ›The Equestrian‹ wird der Kampf, die volle Kontrolle über das eigene Schicksal zu erlangen, als Kampf zwischen einem Reiter und seinem Pferd gezeigt; die letztendliche Unkontrollierbarkeit des eigenen Körpers wird figuriert als Zweikampf zwischen Mensch und Tier. ›Ride for Your Life‹ präsentiert die körperlichen Limits eines Rennfahrers und den verzweifelten Versuch, diese zu überwinden. ›Mesut, 17‹ erlaubt uns einen kurzen Blick darauf, was es braucht, um fußballerisches Potential in eine erfolgreiche Karriere umzumünzen; der Film zeigt uns einen talentierten Spieler, dessen Augen die Angst nicht zu verbergen wissen, den (eigenen) Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Bergsteigen gehört mit Sicherheit zu den am häufigsten verwendeten Metaphern, wenn es darum geht, zu zeigen, dass das Überwinden physischer Hindernisse immer auch ein Überwinden mentaler Barrieren bedeutet. ›Na Pogled‹ erzählt diese Geschichte auf neuartige Weise vor dem Hintergrund der Julischen Alpen. Um die totale Kontrolle über den eigenen Körper geht es auch im Ballett. ›Stå på tå‹ zeigt, welch harte Arbeit die Schülerinnen einer Ballettschule in ihre Karriere stecken, und wie der Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper zum schwer zu akzeptierenden Scheitern werden kann.

Motiv 3: Zugehörigkeit

Sport ermöglicht es, Gefühle der Zusammengehörigkeit zu empfinden, die weniger körperbetonte Bereiche des modernen Lebens oft nicht erlauben. Ein solches Zugehörigkeitsgefühl betrifft dabei nicht nur die aktiven Sportler, sondern häufig gerade auch diejenigen, die als Zuschauer dabei sind. Ken Loachs ›Happy Ending‹ stellt eine solche Erfahrung kollektiver Freude, wie sie der Sport möglich macht, den eher intellektuellen und individuellen Erfahrungen gegenüber, die das Kino bietet. Einen Versuch, die Freuden der gemeinschaftlichen Teilhabe am Sport als Fan einzufangen, bietet ›Deplase Keyifler‹. Der Film begleitet die Fans auf dem Weg zu einem ganz besonderen Event – dem Istanbuler Derby. ›Panyee FC‹ zeigt, wie der Sport ein Gefühl der Zugehörigkeit in einem ganz praktischen Sinne zu vermitteln vermag: Einer abgelegenen thailändischen Inselgemeinde wird durch die Gründung einer eigenen Fußballmannschaft die Möglichkeit gegeben, neue Brücken zum Festland zu schlagen. Die strenge Unterscheidung zwischen Fans und Spielern, zwischen Teilnehmern und Zuschauern wird durch den Akt des Wettens ein Stück weit durchkreuzt: Hier wird der Zuschauer selbst zum Handelnden. Dass das Wetten eine gänzlich harmlose Art sein kann, dem geliebten Sport noch ein wenig näher zu kommen, zeigt ›A Day at the Races… with the Paddock Tree Gang‹. Dass daraus immer auch ein ungezügelter Fanatismus werden kann, deutet ›La Gran Carrera‹ nicht nur an. Besonders für Jugendliche ist es häufig von ganz besonderer Bedeutung, auf der Seite des richtigen Teams zu stehen, wie ›The Sweater‹ liebevoll nachzeichnet. ›Aldrig för sent – gympagrupp 90+‹ und ›Team Spirit‹ zeigen schließlich, dass die Begeisterung für Sport, egal ob als Fan oder als Praktizierender, keineswegs ein Privileg der Jugend ist.

Motiv 4: Bodies and Minds on the Move

»No sports«, deklamierte Winston Churchill zwischen Zigarrenqualm und Whiskydunst – von wegen! Er liebte Sport! Und wir tun es auch! Seit den Anfängen der Filmgeschichte quälen sich athletische Körper für die schönsten Bilder, jagt das Publikum der sportlichen Sensation hinterher und kämpft ein jeder von uns die tagtägliche Schlacht mit sich selbst. Mal wird die Welt der sportlichen Ertüchtigungen in urkomischen Persiflagen auf die Schippe genommen (›Love Sports‹) oder gleich zum filmisch-experimentellen Synonym für ein ganzes Lebensgefühl gemacht. Mal wird die Ästhetik der Bewegung sinnlich zelebriert (›Busby‹), mal die Drangsal der sportlichen Leistungsmaschine Mensch thematisiert (›Solarium‹). Sport und Körper können schön sein (›Axiom‹), Sport kann begeistern (›Rennsymphonie‹), den Geist befreien (›Hyppääjä‹) oder Körper und Geist symbolisch voneinander isolieren und gefangen halten (›Knock Out‹). Mit Sport lässt sich die halbe Welt erklären (›Grip‹) oder unsere Wahrnehmung auf den Kopf stellen (›LIFTN‹/›STRHOME‹). Im Sport mag der eine Erlösung suchen (›Nackt‹), der andere Liebesleid (›Der falsche Spieler‹) oder Liebesglück (›Kirmes in Hollywood‹) finden. Sport führt für den einen zum besseren Leben (›Der Aufstieg‹), den nächsten zum Selbstversuch im Kampf mit den Elementen (›Several Interruptions‹) oder schlicht zum filmischen Experiment und wortwörtlichen Angriff aufs Publikum (›Combat de Boxe‹). Ach, und übrigens war auch Churchill leidenschaftlicher Reiter, Schütze, Fechter, Schwimmer und Boxer… Also Ring frei und Film ab!

Text und Filmauswahl:Anja Ellenberger

Motiv 5: Bis zum Umfallen

Laut Heidegger dient alles, was wir Menschen als Fortschritt betrachten, letztlich dazu, uns immer weiter von der Natur zu entfernen. Medizin verlängert unsere Lebenserwartung auf unnatürliche Weise, Schrift bewahrt Informationen vor dem unvermeidlichen Vergessen, Waffen, Feuer und Jagdtechniken entfernten uns aus unserer naturgegebenen Position in der Nahrungskette.

Letztlich ist auch der Sport nur ein Aspekt einer inzwischen vollständig künstlichen und der Natur entrückten Zivilisation, in der er unter anderem als sanktioniertes Ventil, Wirtschaftsfaktor und gleichermaßen kulturelle wie nationale Ausdrucksform mehrere systemstützende Funktionen übernimmt. Gleichzeitig ist Sport für Zuschauer und Betreibende deshalb so populär, weil er uns für kurze Zeit spüren lässt, dass es im Leben mehr gibt als bloße Funktionalität und vernunftgesteuerte Kapitulation des Menschen vor dem System und seinen Werkzeugen.

Diese direkte Wirkung auf den Organismus zeigt ›Patch‹, in dem Bewegung und wandelnde, vorbeiziehende Formen unser Herz schneller schlagen lassen. Dass selbst Erfindungen, die eigentlich dazu dienen, den menschlichen Bewegungsapparat zu ersetzen, uns herausfordern, mit diesen zumindest gleichzuziehen, veranschaulicht ›Steher‹. Im Wald hingegen verschmelzen nicht nur die Bewegungen, sondern auch unser Bezug zu Zeit und Raum (›Forst‹). In Zeiten der seelischen Not bietet Sport oftmals einen nicht ganz risikofreien Fluchtweg (›Michelles Opfer‹), und auch als Zuschauer können wir uns selbst verlassen und das Tier in uns erwecken (›The Dogs‹). Auch eine Erkenntnis: In einer durchorganisierten materialistischen Welt bieten wohlgeplante Sportveranstaltungen eine Möglichkeit, eine höhere Bewusstseinsebene zu erreichen (›Six Day Run‹). Und wenn wir all das geschafft haben, und unser Körper und unser Geist durch glückliche Erschöpfung sediert wurden, können wir es ganz ruhig ausklingen lassen, bevor wir wieder ein zufrieden funktionierendes Zahnrad in der Maschine werden (›Gym Nastix – Beide Arme nach oben‹).

Während die Filme und ihre Protagonisten also ihr Letztes und Allerletztes geben werden, wünsche ich den Zuschauern im Saal bequemes Sitzen und Gucken. Snacks und Erfrischungen erhalten Sie im Foyer. Aber fallen Sie auf dem Weg dahin bitte nicht um.

Text und Filmauswahl: Lars Frehse