LABOR: Rituale, Loops + Tänze

Programm Labor: Fr, 8. Juni | 22:00 Uhr | B-Movie
Programm Labor: So, 10. Juni | 17:00 Uhr | Metropolis

Das diesjährige Laborprogramm widmet sich den Ritualen, die den komplexen Realitäten in einer chaotischen Welt von Zeit zu Zeit Form und Struktur geben können. In den Wiederholungen, Klängen, geregelten Bewegungsabläufen von Ritualen entsteht eine Art von Zeitlosigkeit, die das Bewusstsein der Betrachtenden und Zuhörenden auf intensive Art berührt. Das Ritual ist eine Form von Kommunikation und Interaktion zwischen Handelnden und Zuschauer*innen. Es ist vermutlich auch der Anfang aller Kunst. Die persönlichen Rituale im alltäglichen Leben erleichtern und strukturieren den Umgang mit den Widrigkeiten der Welt.

Aus ethnologisch-künstlerischer Perspektive hat sich Maya Deren in ihren Filmstudien immer wieder dem Phänomen des Rituellen in diversen Choreografien angenähert. In ihrem Film ›Divine Horsemen: The Living Gods of Haiti‹ taucht die Filmemacherin tief in die Welt der haitianischen synkretistischen Zeremonien ein. Wenn sie sich mit ihrer Kamera in den Kreis von Trancetänzer*innen während eines Voodoorituals begibt, wird die physische Dimension dieser religiösen Zusammenkünfte besonders deutlich. Die Filme, die sie in den USA dreht, beschäftigen sich immer wieder mit Formen des Tanzes und choreografierter Bewegungsabläufe. In diesem Programm zeigen wir 16-mm-Kopien ihrer Filme ›Meditation on Violence‹ und ›Ritual in Transfigured Time‹, die beide in den 40er Jahren entstanden sind. Die Werke von Maya Deren waren eine wesentliche Inspirationsquelle für die Experimentalfilmer*innen des New American Cinema der 50er und 60er Jahre, und Stan Brakhage schrieb zu ihrer Arbeit: »She is the mother«.

Der Tanz als rituelle Form im Zusammenspiel der Körper hat auch Miranda Pennell zu einigen ihrer Filmbeobachtungen inspiriert. In ihrem Film ›Fisticuffs‹ wird die Choreografie einer Kneipenschlägerei zu einer Art ritueller Handlung voller Zitate aus Westernfilmen, die auf scheinbar archetypische Formen von stark reduzierter ›Kommunikation‹ in endloser Wiederholung verweisen.

Den rituellen Charakter der Endlosschleife zeigt der Film ›Flugbild‹ mit den Mitteln der klassischen Zeichenanimation. Ein schwebendes Kameraauge durchstreift den menschlichen Kosmos aus Geburt, Kindheit, Liebe, Verbrechen, Tod und Teufel als gnadenlos wiederkehrende Achterbahnfahrt auf dem Möbiusband unserer Existenz. Seine hypnotische Wirkung bezieht dieses Closed-Circuit-Drama aus den permanenten Metamorphosen und Übergängen der Eindrücke eines ›Raumflugs‹.

Die kurze musikethnografische Dokumentation ›Master Musicians of Joujouka‹ nähert sich einer Gruppe marokkanischer Musiker, die mit ihren Blasinstrumenten und Trommeln eine archaische Klanglandschaft schaffen. Dieses mehrstündige Ritual verkoppelt einen Mythos, der an die antike Erzählung des Gottes Pan und seiner Schilfrohrflöte erinnert, mit den ekstatischen Praktiken des Sufismus. Die Musik und ihre begleitende Performance faszinierte seit Mitte des 20. Jahrhunderts Literat*innen und Musiker*innen der Beatgeneration und verwandter Denkströmungen. Erinnert sei nur an die erste Weltmusikplatte ›The Pipes of Joujouka‹, die Brian Jones Ende der 60er Jahre mit dem Ensemble der Master Musicians produzierte. Diese archaischen Klänge haben sich über Jahrhunderte durch Weitergabe in einem kleinen autarken Kulturkreis ungestört entwickeln können und dabei ihre rohe Energie erhalten.

Im Grenzbereich zwischen Philosophie, Film und Choreografie findet sich die Fernsehproduktion ›Quadrat 1‹, in der Samuel Beckett das Rituelle als ewige ›Tretmühle‹ von vier perfekt abgestimmten Läufern in Szene setzen lässt. Seine radikal minimalistische Studie zur sinnfreien Disziplinierung und Konditionierung menschlichen Daseins in ritualisierten Tätigkeiten wirkt gerade im Zeitalter der Automatisierung und Selbstoptimierung aktuell.

Auch der meditative Umgang mit gefundenem Filmmaterial, die Zerlegung der Bildstreifen in Loops und das Eintauchen in einzelne Bildpartikel gleichen einem Ritual. Im Falle von ›Films to Break Projectors‹ bringt dieses Schneiden, Kleben und das damit verbundene Nachdenken über die Mechanik der kinematografischen Illusionsmaschine ein weiteres funkelndes Wunder im Bereich der Found-Footage-Experimente hervor.

Die polyrhythmischen Loops der Minimal-Music-Kompositionen von Steve Reich übersetzen die Idee und Atmosphäre des Rituals in den Klang sich wiederholender Muster. Inspiriert von der Minimal Music untersucht das ›Experiment Nr. 9‹ des Kollektivs EMA die Möglichkeiten der Rückübersetzung dieser Muster in ein Lichtritual.

Der letzte Film des Programms widmet sich aus der Perspektive des Architekten William van Alen und seiner Kollegin Zaha Hadid einem ewig wiederkehrenden Ritual menschlicher Gemeinschaftsanstrengungen: dem AUFBAU und der ZERSTÖRUNG. Im Schnelldurchlauf vollzieht sich im ›Fest der Moderne‹ das, was die Menschheit zwischen der Konstruktion von Städten und ihrer Vernichtung meist mit großer Hingabe macht: FEIERN+TANZEN.

Text & Filmauswahl Hanna Nordholt+Fritz Steingrobe     

Hanna Nordholt und Fritz Steingrobe sind Filmemacher*innen und Kurator*innen.

Präsentiert in Zusammenarbeit mit der Triennale der Photographie