LAND: China

China 1: Lost in the Metropolis

Fr, 8. Juni | 19:00 Uhr | Metropolis
So, 10. Juni | 17:30 Uhr | Zeise 2

China 2: Travel in the Past

Fr, 8. Juni | 21:00 Uhr | Metropolis
China 2 | Sa, 9. Juni | 19:45 Uhr | B-Movie

Kaum ein Land bleibt europäischen Kurzfilmfestivals so fern wie China. Die Distributionswege sind schwierig, Kurzfilmfestivals und Onlinesichtungsportale quasi nicht vorhanden. Anders als die chinesische Videokunst, die dank der üblichen Weltkunstschauen international zur Kenntnis genommen wird, ist der chinesische Kurzfilm fast unsichtbar. Nur wenige Kuratoren und Kuratorinnen haben Möglichkeit, Expertise und Erfahrung, das Land zu bereisen, nach aktuellen Kurzfilmen und Videokunst zu durchstreifen und auch widerständige, subkulturelle Strömungen aufzuspüren.

Umso stolzer sind wir, in diesem Jahr mit Fei Zhou eine Expertin für unseren Länderfokus China gewonnen zu haben, die sich schon lange mit der dortigen Filmkunstszene befasst und zudem selbst als Video- und Medienkünstlerin arbeitet.

Fei Zhou hat für uns in zwei Programmen aktuelle chinesische Filmproduktionen und Videokunstarbeiten versammelt. Und man sieht in und an ihnen, wie komplex und polyphon der filmkünstlerische Umgang mit den jüngeren politischen und kulturellen Metamorphosen ausfällt. Immerhin katapultierte Chinas ökonomischer Wandel Millionen Menschen in völlig veränderte Lebensumstände. Die dosierten und primär wirtschaftlichen Öffnungen zum Westen Ende des letzten Jahrhunderts ließen auch US-amerikanische und europäische Kunst- und Popkultureinflüsse ins Land und inspirierten die Kunstschaffenden zu neuen ästhetischen Positionen und formalen Auseinandersetzungen. Gleichzeitig entdeckt die chinesische Gesellschaft auch ihr eigenes kunsthistorisches Erbe wieder, was etwa die Adaption traditioneller Tuschezeichnungen im zeitgenössischen Animationsfilm erklären mag. Auch das neue Konsumverhalten, die Folgen des wirtschaftlichen Booms für die Natur und die Schmutz- und Smogbelastung der Städte spiegeln sich in den Arbeiten wider. Der Spagat zwischen politischen Direktiven und privater Ausdruckssuche unterfüttert das Schaffen und erzählt von soziokulturellen Schizophrenien.

Kurzum: eine einmalige Chance, einem schwer zugänglichen Phänomen zu begegnen. Dem chinesischen Kurzfilm.

Programmauswahl Fei Zhou

Fei Zhou arbeitet als selbstständige Künstlerin in den Bereichen Fotografie, Videokunst und Medieninstallation. Ihre Arbeiten waren bei Ausstellungen in China, den USA, Deutschland und Togo sowie auf internationalen Film- und Medienfestivals zu sehen.

Mit freundlicher Unterstützung der NUE Stiftung

 

 

Interview – Fei Zhou

Chinas ökonomischer Wandel katapultiert Millionen Menschen in völlig veränderte Lebensumstände. Wie reflektieren Kurzfilm und Videokunst diesen gesellschaftlichen Teilchenbeschleuniger?

Fei Zhou: Die veränderten Lebensumstände und die damit verbundenen Lebensgefühle sind die Hauptthemen des aktuellen Kurzfilms und der Videokunst. Dort findet die Auseinandersetzung sowohl mit den aktuellen gesellschaftlichen als auch den individuellen Fragestellungen statt.

Gibt es Auseinandersetzungen mit der europäischen Kultur oder Neubetrachtungen des Eigenen, beispielsweise des Konfuzianismus?

Seit der politischen und wirtschaftlichen Öffnung Ende des letzten Jahrhunderts macht sich ein starker Einfluss der westlichen Kultur – hauptsächlich der europäischen und US-amerikanischen – bemerkbar. Auf der anderen Seite entdeckt die Gesellschaft das alte kulturelle Erbe wieder, beispielsweise in der Verwendung der Ästhetik der Tuschemalerei im Animationsfilm und in der Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden philosophischen Traditionsschulen.

Mit welchen Einschränkungen muss die chinesische Film- und Kunstszene zurechtkommen?

Die Situation der Filmszene und die der Kunstszene sind sehr verschieden, ebenso unterscheidet sich die Situation bei langen Kinofilmen und unabhängigen Kurzfilmen. Für den Kurzfilm fehlen schlicht die öffentlichen Präsentationsplattformen wie Festivals. Während sich Videokunst als eigenständige Kunstform in der Kunstszene etabliert hat, ist der Kurzfilm fast zu einem Nebenprodukt geworden und hat große Probleme, in China sichtbar zu sein und wahrgenommen zu werden.

Hat die ausländische Beachtung, die künstlerische Megastars wie Ai Weiwei erhalten, den chinesischen Kunstschaffenden eher genützt oder geschadet?

Weder die künstlerische Sprache noch die wirtschaftlichen Erfolge eines Megastars können kopiert werden. Den vielen chinesischen Kunstschaffenden haben diese Effekte wenig genützt.

Nach welchen Kriterien hast du die Filme ausgewählt? Was war dein kuratorisches Konzept?

Ich orientiere mich an den aktuellen Themen der Gesellschaft und der Kunstszene. Ich möchte mit möglichst großer Nähe die Geschehnisse im Land spiegeln und so wahr wie möglich die damit verbundenen Emotionen, Ideen und auch die daraus resultierenden ästhetischen Konsequenzen zeigen.

Meine Themenschwerpunkte gehen von zwei Betrachtungen aus: Zum einen die der Gegenwart, einem Zeitraum von mehr als 20 Jahren, beginnend mit der sich immer schneller entwickelnden Wirtschaft. In der Folge haben sich die Umwelt, insbesondere die städtischen Landschaften, sowie die sozialen Lebensformen gründlich verändert. Das Programm zeigt diesen Wandlungsprozess und die daraus resultierenden Veränderungen im individuellen Wahrnehmen, Begreifen, Wollen und Sehnen.

Zum anderen betrachte ich die geschichtliche Vergangenheit und biete eine Forschungsreise durch private und historische Momente, durch individuelle Schicksale und gesellschaftliche Entwürfe, die sich ja immer wechselseitig beeinflussen.

Können sich – auch förderpolitisch bedingt – eurozentrische Festivals hierzulande überhaupt in die fremden Denktraditionen, die ja auch die Filme deines Programms unterfüttern, einsehen?

Als ich und einige Avantgarde-Video- und -Filmkünstler Chinas Ende des letzten Jahrhunderts an Filmfestivals in Europa teilnahmen, war es eine große Offenbarung für uns. Ich wünsche mir, dass ein zeitgemäß-authentisches Programm aus China hier in Europa beim Publikum das gleiche Staunen und Bereichertwerden auslöst.

Interview Birgit Glombitza